Auswahlkriterien und Auswahlverfahren für Aufsichtsräte

DIALOG Januar 2006, NORDMILCH eG

Auswahlkriterien und Auswahlverfahren für Aufsichtsräte

Beitrag von Dr.jur. Axel Smend
Geschäftsführender Gesellschafter der Deutschen Agentur für Aufsichtsräte

Wirtschaft bedeutet Wettbewerb, Wettbewerb um Märkte und zunehmend auch um Kapital. In diesem Wettbewerb haben professionell geführte Unternehmen die besseren Chancen. Dabei ist mit professioneller Führung keineswegs nur der Vorstand gemeint, sondern auch das Gremium, das den Vorstand überwacht, also der Aufsichtsrat.

Die NORDMILCH eG entwickelt sich proaktiv, auch ausgerichtet am Vorstand, zu einem modernen internationalen Industrieunternehmen. Folglich bedarf der Vorstand der NORDMILCH eG entsprechend starker Persönlichkeiten im Aufsichtsrat – als Kontrolleure, Ratgeber und Sparringspartner. Beide Gremien, Vorstand und Aufsichtsrat, die gemeinsam die Unternehmensstrategie zu entwickeln haben, sollten sich daher fachlich und menschlich auf gleicher Augenhöhe bewegen.
Vor diesem Hintergrund galt es, Vorschläge für eine Zusammensetzung des neu zu wählenden Aufsichtsratsgremiums bei der NORDMILCH eG zu machen. Die Aufgabe hieß also: aus welchem „Holz“ sind die Aufsichtsräte „geschnitzt“, die in der Lage sind, den Vorstand der NORDMILCH eG bei dessen derzeitigen und zukünftigen Aufgaben und Herausforderungen konstruktiv, kompetent und integer zu begleiten.
Mehrere infrage kommende Persönlichkeiten, die alle der NORDMILCH verbunden sind und waren, auch durch Gremienarbeit, hatten sich zur Wahl gestellt. Mit jedem Kandidaten gab es ein etwa 90 minütiges Vieraugengespräch zu folgenden Themen: eigenes Selbstverständnis als Aufsichtsrat? Kenntnis der Pflichten? Erfahrungen in Gremienarbeit? Unternehmerisches Denken? Unabhängigkeit? Impulsgeber oder „Abnicker“? Betriebswirtschaftliche Kenntnisse? Alter? Vergütungsfragen? Strategische Kompetenz? Internationale Erfahrung? Zeitliche Verfügbarkeit? Spezialkenntnisse (z.B. Produkt, Finanzen, Marketing, Vertrieb)? Teamfähigkeit?
Die Meßlatte bei möglichen Aufsichtsratsvorsitzenden ist höher zu legen: Moderator? Souverän? Fördert er die Diskussionskultur im Gremium? Lässt er insbesondere die ordentlichen Aufsichtsratsmitglieder zu Worte kommen? Zu dominant? Hört zu? Gremienerfahrung?

Jeder Kandidat hatte sich selbst folgende vier Fragen zu beantworten:

  1. Kann ich unvoreingenommen Aufsicht führen?

Der Aufsichtsrat hat die Unternehmensführung zu überwachen. Gegenstand sind hierbei die originären Führungsaufgaben, d.h. alle Leitungs- und Verwaltungs-maßnahmen, die der Vorstand persönlich wahrnehmen muss, um die Gesellschaft eigenverantwortlich zu leiten. Im Mittelpunkt stehen dabei die generelle Geschäftsentwicklung des Unternehmens (Ertrags-, Vermögens- und Finanzlage). Relevante Planabweichungen müssen zum Einfordern von überzeugenden Gegenmaßnahmen führen. Darüber hinaus sind Ordnungs- und Zweckmäßigkeit der Entscheidungsprozesse im Unternehmen sowie die vorhandenen Informationssteuerungs- und Überwachungsinstrumente wesentliche Gegenstände der Aufsichtsratstätigkeit.
Die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats umfasst auch dieBeratung des Vorstands im Sinne einer vorbeugenden Überwachung, d.h. der Aufsichtsrat ist Sparringspartner des Vorstands: Er hört zu, hinterfragt, erteilt konstruktiv Rat, gibt Impulse und spornt an.

Kritischer Überwacher und Sparringspartner kann aber nur sein, wer konfliktfrei mit dem Vorstand bzw. mit den Aufsichtsratskollegen diskutieren kann, d.h. dessen Entscheidungen nicht Gefahr laufen, von familiären, wirtschaftlichen oder sachlichen Bindungen oder Rücksichtnahmen abhängig zu sein. So gilt es, möglichen institutionellen Interessenkonflikten, die z. B. aus der Position eines Aufsichtsratsmitgliedes als bedeutender Lieferant oder Kunde oder Banker herrühren, vorzubeugen. Stehe ich mit meinem Mandat in einem Interessenkonflikt? Die Interessen der NORDMILCH eG gehen vor.

  1. Habe ich die erforderlichen Mindestkenntnisse?

Die ordentliche und gewissenhafte Wahrnehmung des Amts setzt gewisse Kenntnisse voraus, um eigenverantwortlich das Amt ausüben zu können. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind dies „Mindestkenntnisse allgemeiner, wirtschaftlicher, organisatorischer und rechtlicher Art, die erforderlich sind, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können“ (BGHZ 85, 293 (295) .

Zu den erforderlichen Mindestkenntnissen  gehören insbesondere

  • die Kenntnisse der gesetzlichen und satzungsmäßigen Aufgaben des

Aufsichtsrats der NORDMILCH eG;

  • die Kenntnisse der Rechte und Pflichten als Aufsichtsratsmitglied;
  • die Kenntnisse, um die dem Aufsichtsrat vorliegenden Berichte verstehen,

bewerten und daraus Schlussfolgerungen ziehen zu können;

  • die Kenntnisse für die Prüfung des Jahresabschlusses mit Hilfe des

Abschlussprüfers;

  • die Kenntnisse zur Beurteilung der Ordnungsmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit,

Zweckmäßigkeit und Rechtmäßigkeit von Entscheidungen des Vorstands der
NORDMILCH eG.

Bereits bei Amtsantritt muss jedes Aufsichtsratsmitglied diese Mindestkenntnisse besitzen. Andernfalls kann die Aufsichtsratstätigkeit nicht im Interesse der NORDMILCH eG sein und ist daher wenig sinnvoll; darüber hinaus erhöht sich das Risiko einer persönlichen Haftung und eines Schadensersatzanspruchs.

Von selbst versteht sich, dass sich ein Aufsichtsratsmitglied zu Beginn seiner Mandatsübernahme mit der Branchensituation der NORDMILCH eG vertraut macht sowie mit der Organisation und Führungsstruktur des Unternehmens, seiner finanziellen Lage und seiner Risikostruktur. Aufsichtsrat ist kein Ehrenamt mehr; das Amt erfordert persönliches Engagement, eigene Initiativen und Sachbeiträge sowie harte Arbeit, mitunter mehr als das Mitglied sich gedacht hat, insbesondere dann, wenn die Gesellschaft konjunkturbedingt  oder durch Managementfehler in „schweres Fahrwasser gerät“. Im übrigen: Nichtkenntnis schützt nicht vor persönlicher Haftung!

  1. Habe ich die notwendige Zeit und bin ich verfügbar als Aufsichtsrat der NORDMILCH eG?

Eine engagierte und gewissenhafte Überwachung erfordert, dass das Aufsichtsratsmitglied die zur Amtsausführung erforderliche Zeit hat und verfügbar ist. Aufsichtsratstätigkeit heißt nicht nur Arbeit während der Sitzung bzw. in der Vorbereitung für die Sitzung sondern auch Arbeit zwischen den Sitzungen. Dieses betrifft insbesondere die Arbeit des Aufsichtsratsvorsitzenden. Er ist i. d. R. zwischen den Sitzungen das Bindeglied zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. In kritischen Unternehmenssituationen nimmt naturgemäß die Intensität von Überwachung und Beratung zu; folglich ist auch mehr Zeitaufwand anzusetzen.

Empfehlenswert sind neben den jährlich stattfindenden vier Aufsichtsratssitzungen eine weitere Sitzung ohne Vorstand sowie auch eine Strategiesitzung, je nach Unternehmensgröße. Zu denken ist weiterhin an die Arbeit in den Ausschüssen.

An das Thema „verfügbare Zeit“ sind strenge Maßstäbe zu legen. Jemand, der als Vorstand oder Geschäftsführer tätig ist, und daneben noch vier oder fünf externe Aufsichtsrats- oder Beiratsmandate wahrnimmt, evtl. noch zwei oder drei davon als Vorsitzender, kann –  insbesondere in Krisensituationen –  trotz seiner sicherlich reichhaltigen Erfahrungen seinen Aufsichtsratspflichten nicht mehr mit dem notwendigen Einsatz nachkommen. Ihm sollte von der Übernahme eines weiteren Mandats abgeraten werden.  Er wäre trotz Erfahrung kein Gewinn für die NORDMILCH eG.

  1. Bin ich bereit, meine Tätigkeit als Aufsichtsratsmitgliedbeurteilen zu lassen?

Weltweit steigen die Anforderungen an die Qualität der Arbeit von Aufsichtsgremien. Fast alle internationalen Kodices fordern Leistungsbeurteilungen der Kontrollgremien. Eine Beurteilung von Aufsichtsräten ist für viele noch ein ungewohntes Phänomen. Es ist schwer vorstellbar, dass Hermann Josef Abs sich einer Beurteilung seiner Tätigkeit unterzogen hätte. Ganz im Gegensatz hierzu haben in jüngster Zeit einzelne Aufsichtsratsvorsitzende von sich aus vertrauliche Bestandsaufnahmen der Tätigkeit ihrer Aufsichtsräte initiiert. Dadurch wird den einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern die Möglichkeit gegeben, Unsicherheiten und Kritikpunkte in der eigenen Rollenwahrnehmung sowie in der des gesamten Gremiums vertraulich zu identifizieren. Das überraschende Ergebnis ist dann häufig, dass individuelle Kritik an der Arbeit eines Aufsichtsgremiums meist von der Mehrzahl der Mitglieder geteilt wird, diese Kritik aber im Gremium vorher nie zur Sprache kam.
Eine weitere Erfahrung: Es ist kein Zufall mehr, dass es durchweg überdurchschnittlich starke Aufsichtsratsvorsitzende sind, die sich einer solchen Bestandsaufnahme unterziehen.
Jedes Aufsichtsratsmitglied sollte bereit sein, den Prozess der Aufsichtsratsbeurteilung nach Maßgabe des Deutschen Corporate Governance Kodex konstruktiv und positiv zu begleiten.

Am Ende des Auswahlprozesses für die Aufsichtsratskandidatur bei der NORDMILCH eG gab es genügend Persönlichkeiten – ein gesunder Mix aus Erfahrung, Kompetenz, Internationalität, Kreativität und Alter – , die sich als potenzielle Aufsichtsratsmitglieder empfohlen hatten.

Alle hatten die vier Kernweisheiten für Aufsichtsräte verinnerlicht:

  1. Kernthese: Aufsichtsratstätigkeit ist kein Ehrenamt, sondern Arbeit für Profis.
  2. Kernziel: Keine eigenen Interessen verfolgen, sondern ausschließlich die des Unternehmens.
  3. Kernpflichten: Besetzung, Beratung und Überwachung des Vorstands.
  4. Kernparameter: Mindestkompetenz, Unvoreingenommenheit, Zeit und Verfügbarkeit, Bereitschaft, sich beurteilen zu lassen.

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