Aufsichtsrat: Kleiner Fehler, große Wirkung

 

Die Qualifizierung der Aufsichtsräte ist fester Bestandteil des deutschen Corporate-Governance-Kodex. Ausnahmslos alle Unternehmen der DAX-Familie geben an, ihre Weiterbildungspflichten zu erfüllen. Doch es gibt auch Handlungsbedarf. von Stefan Siepelt, Gastautor von Euro am Sonntag

Formal betrachtet ist es nur ein Unterpunkt im Ehrenkodex für gute Unternehmensführung, doch er entfaltet immer größere Wirkung: Nach Ziffer 5.4.5 des Deutschen Corporate-Governance-Kodex sind die Mitglieder des Aufsichtsrats von Deutschlands großen Aktiengesellschaften (AG) verpflichtet, die für ihre Aufgaben erforderlichen Aus- und Fortbildungsmaßnahmen eigenverantwortlich wahrzunehmen und darauf zu ­achten, dass ihnen für die Mandatswahr­nehmung auch genügend Zeit zur Verfügung steht. Dabei sollen sie von der Aktiengesellschaft angemessen unterstützt werden.

Der Grundgedanke dahinter: Ein Aufsichtsrat ist nicht allein durch seine Berufung für die gesamte Amtszeit qualifiziert, sondern sollte sich über neue Entwicklungen, Pflichten und Möglichkeiten auf dem Laufenden halten, um seinen Kontrollpflichten bei den oft global tätigen Konzernen professionell und möglichst effizient nachzukommen.

Ob diese Pflicht erfüllt wird, ist in der „Entsprechenserklärung“ nachzulesen, die alle börsennotierten deutschen AGs einmal im Jahr abgeben müssen. Darin geben die Unternehmen öffentlich in Form des sogenannten „Comply or explain“ an, dass sie die Vorschriften und Empfehlungen des Kodex befolgen (comply) oder in welchen Punkten und warum (explain) sie abweichen. Beim Punkt „Qualifizierung des Aufsichtsrats“ war das Ergebnis nach unserer Analyse eindeutig: Kein einziges Unternehmen aus DAX, MDAX, TecDAX und SDAX erklärt eine Abweichung. Anders gesagt: Ausnahmslos alle Unternehmen bestätigen, dass sich ihre Aufsichtsräte regelmäßig weiterbilden und dabei von den Gesellschaften unterstützt werden — genau so, wie das im Kodex seit zwei Jahren gefordert wird.

Zugegeben: Es ist ein grundsätzlich sehr erfreuliches Ergebnis, dass die Kodex-Regeln von den Unternehmen und Kontrollgremien so schnell verinnerlicht wurden. Doch leider passen die Angaben nicht ganz zu den Beobachtungen unserer täglichen Praxis. Ein Blick in den Alltag deutscher Unternehmen und Aufsichtsräte zeigt, dass im Bereich der Qualifizierung insgesamt noch erheblicher Handlungsbedarf besteht. So ergeben anonymisierte Umfragen unter den Aufsichtsräten abweichende, teilweise sogar widersprüchliche Ergebnisse, zum Beispiel zur Frage der Vorbereitung von Aufsichtsratswahlen und der Kandidatenauswahl, auch unter dem Gesichtspunkt der geforderten Qualifikation.

Beschlüsse von Vorstand oder
Aufsichtsrat werden angreifbar 

Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass der Kodex den Unternehmen bei Art und Umfang der Qualifizierungen noch relativ viel Freiraum lässt. In dem Regelwerk steht nur „dass“, aber nicht „wie, wo und wie häufig“ solche Qualifizierungsmaßnahmen erfolgen sollen. Dennoch: Auch wenn die Bestimmungen schwammig sind — die Folgen für Unternehmen und Aufsichtsräte, die bei der Aufsichtsratsqualifizierung trotz anderslautender Angaben noch nicht oder nicht ausreichend aktiv geworden sind, könnten sehr unangenehm sein.

Fehlerhafte Angaben führen häufig dazu, dass die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat anfechtbar und damit unwirksam ist. Darüber hinaus könnten Aktionäre die Anfechtung von Wahlbeschlüssen zum Aufsichtsrat in Angriff nehmen, wenn sich herausstellt, dass Angaben zum vorgeschlagenen Kandidaten falsch waren, er insbesondere entgegen seiner Aussage nicht über die notwendigen Qualifikationen verfügt und deshalb für eine Wiederwahl eigentlich nicht geeignet gewesen wäre. Und schließlich könnte es auch zu zivilrechtlicher Haftung führen, dies gilt insbesondere für den Bereich der Pflichtverletzungen. Hätte der Aufsichtsrat in gut ausgebildeter Form eine Fehlentwicklung erkennen können oder gar müssen, dann haftet er gegenüber dem Unternehmen.

Das klingt auf den ersten Blick zwar sehr theoretisch, hat aber durchaus eine hohe Praxisrelevanz: So hat der Bundesgerichtshof in einer wegweisenden Entscheidung in Sachen Kirch/Deutsche Bank ausgesprochen, dass das Unterlassen einer Entsprechenserklärung oder ihre Unrichtigkeit in einem nicht unwesentlichen Punkt einen Gesetzesverstoß darstellt, der die Anfechtung der Entlastungsbeschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat zur Folge hat. Deshalb sollte Aufsichtsräten wie den Unternehmen klar werden, dass man die Aus- und Fortbildung ernst nehmen muss. Mit einem einmaligen Seminarbesuch oder Vortrag zu Haftungsfragen und einer Managerversicherung ist es nicht mehr getan.

zur Person:

Stefan SiepeltGeschäftsführender Vorstand
des Arbeits­kreises deutscher Aufsichtsrat

Der Arbeitskreis deutscher Aufsichtsrat e.V. (AdAR) ist ein Kompetenznetzwerk für die ­Aufsichtsratsarbeit. Unter dem Dach von AdAR ­arbeiten Spezialisten aus Wissenschaft und Wirtschaft, von führenden Hochschulen, Verbänden und Verlagen gemeinsam an der Professionalisierung der Aufsichtsrats­arbeit. Hinter dem AdAR ­stehen unter anderem die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapie­r­besitz, Professor Barbara Dauner-Lieb vom Institut für Gesellschaftsrecht der Universität zu Köln, der Bundesanzeiger-Verlag und die Wirtschafts­kanzlei ­Legerlotz Laschet.

Der Artikel ist erschienen unter http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/Corporate-Governance-Aufsichtsrat-Kleiner-Fehler-grosse-Wirkung-2049290

 

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