Corporate Governance dient dem Mittelstand
18.12.2003, Börsen Zeitung, von Axel Smend*)
Corporate Governance dient dem Mittelstand
Der Mittelstand muss für vieles herhalten. Er wird von der Politik umworben, von den Banken kritisch beäugt und dann wieder neu entdeckt. Er gilt als Jobmaschine und Hort der Innovation. Zu den jüngeren Initiativen, die für sich beanspruchen, etwas für die Zukunftsfähigkeit des Mittelstandes zu tun, zählen auch jene, die die Corporate- Governance-Industrie anbietet. Was verbirgt sich im Einzelnen dahinter? Renommierte Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Anwaltssozietäten und Spezialagenturen wetteifern um die Gunst mittelständischer Unternehmen, wenn es darum geht, verlässliche Standards zu entwickeln, die bei Implementierung in das jeweilige Unternehmen den Unternehmenswert steigern und Finanzierungsvorhaben erleichtern sollen. Was hier noch einigermaßen pauschal und unverbindlich klingt, bekommt dann seine ganze Brisanz, wenn wir uns die Realsituation mittelständischer Unternehmen anschauen, die nach attraktiven Finanzierungen für Ihre Investitionsvorhaben Ausschau halten.
In der Kreditklemme
Mehr als die Hälfte der 3 Millionen Unternehmen steckt in der Kreditklemme, da sich die Banken zunehmend schwer tun, für den Mittelstand bei knapper Bonität Kredite herauszulegen. Das Kreditgeschäft hat überdies die Bankbilanzen verhagelt. Basel II tut ein Übriges. Neue Finanzierungsinstrumente jenseits des klassischen Unternehmenskredits sind im Kommen. Gleichwohl stellen neue Produkte wie Mezzanine-Programme oder die Etablierung von Fonds zur Schaffung von Beteiligungskapital für den breiten Mittelstand für die Kontrahenten besondere Anforderungen. Hier kommen harte betriebswirtschaftliche und „weiche“ Faktoren gleichermaßen ins Spiel. Zum einen muss das Produktdesign beherrscht und in das Rechenwerk des Unternehmens integriert werden. Darüber hinaus muss aber auch an der Sensibilität der familiengeführten Unternehmen für innovative Finanzinstrumente gearbeitet werden. Hier gibt es großen Informations- und Kommunikationsbedarf. Corporate Governance – gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung – kann hier praktisch eine Lücke schließen.
Mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex wurden Standards zur Leitung und Überwachung börsennotierter und damit auch der mittelständischen Börsengesellschaften gesetzt. Der Regelkanon übernimmt zum einen Ordnungsfunktionen, zum anderen Kommunikationsfunktion. Pflichten und Rechte von Vorstand und Aufsichtsrat und das Zusammenwirken beider werden präzisiert, die Rechte des Aktionärs gestärkt und die Unternehmensverfassung auf Transparenz und Effizienz getrimmt. Der Kodex hat eine überraschend positive Resonanz gefunden. Keine der Dax-Gesellschaften lehnt den Kodex grundsätzlich ab, 14 von ihnen werden zukünftig alle Empfehlungen umsetzen. Es ist also ein Trend auszumachen, das Regelwerk auch zu leben. Das bringt Pluspunkte für den Investitionsstandort Deutschland.
Es ist zunehmend erkennbar, dass der Kodex und die Diskussion hierüber auch auf nicht börsennotierte Gesellschaften ausstrahlen. Gemeint sind mittelständische Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Diese Unternehmen haben prägenden Charakter für die Wirtschaftsstruktur des Landes. Andererseits haben sich die Rahmenbedingungen für das Erfolgsmodell, seien es die Finanzmärkte, sei es die Konjunktur, aber erheblich verändert. Deshalb sind Debatten über einen neuen Qualitätsansatz, der mit Corporate Governance umschrieben ist, richtig und wichtig. Es handelt sich hier nicht um eine bürokratische Selbstzweckübung von dubiosen Anbietern, sondern um eine Veranstaltung, die bei konsequenter Ausrichtung und Umsetzung vom Markt belohnt wird. Diese Erkenntnis wird noch nicht überall in gleichem Maße von kleineren und mittleren Unternehmen geteilt. Allzu groß ist die Sorge, dass hier an einem neuen Bürokratie-Monstrum gearbeitet wird, das den Mittelstand drangsaliert und gängelt und ihm noch weniger Raum und Zeit lässt, seine Möglichkeiten im Markt zu suchen.
Do-it-yourself-Methode
Wenn die Diskussion hierüber mit juristischen Argumenten geführt wird, sind die Einwände nicht von der Hand zu weisen. Deshalb geht es in der Zielrichtung, die Corporate-Governance-Qualität zu erhöhen, nicht um ein kodifiziertes Regelwerk, sondern um eine Verhaltensleitlinie für die Eigentümer und Manager in diesen Unternehmen mit empfehlendem Charakter. Der Kodex der Börsengesellschaften soll also nicht auf die GmbH umgeschrieben werden, vielmehr handelt es sich um ein Vademekum, wie die Defizite mittelständischer Unternehmen präventiv und praxisgerecht abgebaut werden können. Es wird also auf Do-it-yourself im Sinne von Hilfe zur Selbsthilfe gesetzt, statt mit dem Zeigefinger des Gesetzgebers oder einer neu einzurichtenden Kommission zu drohen.
Welche Module gehören in solch einen Baukasten, welche Kategorien stützen das jeweilige firmenspezifische Geschäftsmodell? Vertrauensstärkende Maßnahmen in Richtung auf Eigen- und Fremdkapitalgeber, Geschäftspartner und die Arbeitnehmerseite haben sich primär mit diesen Gütekriterien zu befassen: 1. Unternehmensstrategie, 2. Gesellschafterrecht/Gesellschafterversammlungen, 3. Geschäftsführung, 4. Kontrollgremien, 5. Berichtswesen/Abschlussprüfung, 6. Finanzen, 7. Transparenz/Unternehmenspublizität.
Vielfach ist die Strategie in den Köpfen der Unternehmer und Manager fest verankert und bestimmt schon das tägliche Tun, gleichwohl bringt es einen Mehrwert, sich immer wieder Rechenschaft abzulegen über die Solidität und die Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells. Und das muss dann auch einmal in Sprache gefasst und niedergeschrieben werden. Diese Rolle obliegt der Geschäftsführung mit besonderem Augenmerk auf die Interessenwahrung der Gesellschafter und auf die langfristige Steigerung des Unternehmenswertes. Letzteres hat dann auch Auswirkungen auf die Gewinnausschüttungspolitik. Es empfiehlt sich, die Auswahl der Geschäftsführung transparent zu machen und einem Beirat zu übertragen, der in einem anderen Kontext auch als kontrollierende und nicht nur als beratende Instanz für die Geschäftsführung von den Gesellschaftern eingerichtet werden kann. Bei den Vergütungsthemen sowohl für die Geschäftsführung als auch für den Beirat ist zunehmend der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens als auch der Komplexität der Aufgabenstellung Rechnung zu tragen. Fixe und variable Gehaltsbestandteile sollten die Regel bei der Vergütung der Geschäftsführung sein.
Besonderes Augenmerk ist der Kommunikationskultur zwischen Geschäftsführung und Kontrollgremium zu widmen. Hier empfehlen sich Standards und Usancen für die Themen Bringschuld und Holschuld. Professionelle Kommunikationsstrukturen und eine entsprechende Dokumentation der Ertragslage und Risikosituation der Gesellschaft, die zeitnah erfolgt, finden ihre Honorierung durch Wirtschaftsprüfer und Banken. Gleiches trifft zu für eine belastbare Finanz- und Liquiditätsplanung, die reagibel auf kurzfristige Veränderungen ist. Unternehmenspublizität und Kommunikation nach innen und außen dürfen keine lästige Übung sein, sondern Ausdruck des unternehmerischen Selbstverständnisses, und erfolgen über moderne Vertriebskanäle.
Profitables Modell
So verstandene Corporate-Governance-Anstrengungen, die auch messbar sind, bleiben keine stumpfe Waffe im Wettbewerb. Stellt sich ein mittelständisches Unternehmen nach diesen Kategorien auf, kann es Krisenanfälligkeit reduzieren, das Potenzial für Konflikte verringern und die Effizienz des eingesetzten Kapitals erhöhen. Die Unternehmensführung muss es wollen und glaubhaft vorleben, dann wird aus einem modischen Begriff auch ein profitables Modell.
*) Dr. Axel Smend Geschäftsführer der Deutschen Agentur für Aufsichtsräte, Berlin.