Ehrbares Handeln bleibt oberstes Prinzip
VDI Nachrichten, Berlin 09.06.06, Interview von Regina-C. Henkel
Aufsichtsräte in Deutschland: Im Gegensatz zu den USA sind im deutschen Aktiengeschäft operatives Geschäft und Kontrollarbeit strikt getrennt
Kein Grund zur Sorge, viel Anlass zur Aufmerksamkeit: Der Berliner Aufsichtsrats-Coach Axel Smend sieht die rund 14 500 Aktiengesellschaften hierzulande „insgesamt ausreichend“ kontrolliert.
VDI nachrichten: Herr Smend, die Deutsche Bank hat gerade den ersten hauptberuflichen Aufsichtsratsvorsitzenden bestellt. Dr. Clemens Börsig ist mit 57 Jahren im besten Manager-Alter und widmet sich jetzt ausschließlich der Aufsicht und Kontrolle des operativen Geschäfts. Das ist neu…
Smend:…und ein großer Schritt in die richtige Richtung. Ein aktiver Aufsichtsratsvorsitzender kann die Kontrolle und Beratung der Geschäftsführung am ehesten sicherstellen. Drei der wichtigsten Parameter werden erfüllt: Das ist erstens Unabhängigkeit, zweitens ist es ausreichend Zeit und drittens profundes Wissen. Clemens Börsig hat Industrieerfahrung bei der RWE AG und bei Bosch gesammelt, war als Finanzvorstand der Deutschen Bank nicht immer nur bequem und ist noch jung genug, um nicht immer nur die eigenen Erfahrungen reproduziert sehen zu wollen.
VDI nachrichten: Und welche Rolle spielt die Verschwiegenheitspflicht?
Smend: Dazu müssen sich alle Aufsichtsratsmitglieder verpflichten. Doch in der Vergangenheit ist durch Indiskretion viel Schaden angerichtet worden. Im Aufsichtsrat müssen zum Beispiel Pläne über Personalentlassungen oder Werkschließungen offen diskutiert werden können, ohne dass dies gleich an die Öffentlichkeit gelangt.
VDI nachrichten: Ohne diese Indiskretionen hätte die Öffentlichkeit aber wohl nie von den Vorkommnissen etwa bei Mannesmann erfahren.
Smend: Das stimmt so nicht. Je besser Aufsichtsräte arbeiten, desto sicherer können sich alle anderen fühlen: Vorstand und Aktionäre, Kunden und Lieferanten, Mitarbeiter und Öffentlichkeit. Denn natürlich unterliegt die Arbeit des Kontrollgremiums dem Zivil- und auch dem Strafrecht. Untreue, Vorteilsnahme oder der Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht sind strafbar. Vorsätzliche oder grob fahrlässig herbeigeführte Entscheidungen zum Schaden des Unternehmens führen zu Schadenersatzansprüchen. Für diesen zivilrechtlichen Aspekt ist die Sensibilität in jüngster Zeit stark gewachsen, nicht zuletzt weil der Aufsichtsrat bei einem Verstoß mit seinem persönlichen Vermögen haftet.
VDI nachrichten: Gleichwohl kommt es immer wieder zu Unregelmäßigkeiten und justiziablen Verfehlungen.
Smend: Es verhält sich nun einmal nicht jeder wie ein ehrbarer Kaufmann. Aber wir haben hierzulande einen Vorteil gegenüber dem US-amerikanischen Boardsystem mit einem gemeinsamen Aufsichts- und Vorstandsgremium. Im deutschen Aktiengesetz sind operatives Geschäft und Kontrollarbeit strikt getrennt. Und noch mehr: Der Corporate Governance Codex aus dem Jahr 2002, die Antwort der deutschen Wirtschaft auf die Bilanzfälschungen und den Vermögensbetrug wie bei Enron und Co., erobert nun auch die Politik. So bekommen die Bürger Vertrauen in die Kontrollarbeit. In den Hauptgesellschaften des Landes Berlin haben zum Teil externe Profis den Aufsichtsratsvorsitz übernommen.
VDI nachrichten: Und wer kein Profi ist? Unwissenheit schützt ja bekanntlich vor Strafe nicht.
Smend: Ehrbares Handeln bleibt oberstes Prinzip. Dazu gehört die Bereitschaft zur Weiterbildung. Aufsichtsratsmitglieder müssen ihre Aufgaben kennen und ihrer Kontroll- und Beratungspflichten ordnungsgemäß nachkommen. Wer sich die dafür notwendige Zeit nimmt, braucht nichts zu befürchten. Auch Aufsichtsratsmitglieder dürfen Fehler machen, nur nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig.