Vertrauen ist gut, Kontrolle besser
26.01.2003, Welt am Sonntag, von Michael Gneuss
Deutsche Aufsichtsräte sind schon lange in der Kritik. Oft fehlen ihren Mitgliedern Kompetenz und Zivilcourage. Axel Smend versucht mit einer Vermittlungsagentur dagegen anzukämpfen
Mehr als 40.000 Firmeninsolvenzen waren in 2002 zu beklagen, in diesem Jahr rechnen Experten mit einem neuerlichen Pleitenrekord. „Anhand dieser Zahlen kann man schon sehen, dass etwas
im System nicht richtig ist“, sagt Axel Smend, Geschäftsführer der Deutschen Agentur für Aufsichtsräte. Seit vier Monaten sitzt er in seinem Büro in der Bundesallee und widmet sich ganz der Kontrolle von deutschen Unternehmen. „Vielen Aufsichtsräten fehlt es an Kompetenz, Unabhängigkeit, Erfahrung und Zivilcourage“, bemängelte Smend.
Das Problem ist nicht neu. Immer wieder stehen auch die Aufsichtsräte in der Kritik, wenn in Unternehmen Missmanagement zu Tage tritt. Und immer wieder fragen sich Mitarbeiter und Beobachter, warum in den oft üppigen besetzten Kontrollgremien keiner rechtzeitig den Finger gehoben hat. Smend kennt die Gründe für die Misere. Er schaut auf eine 30-jährige Karriere in der Bankwelt zurück und hatte oft Einblick in die Interna der Firmenkundschaft. Sein neues Unternehmen, das von sieben privaten Investoren getragen wird, will den Misstand beseitigen und damit mittelständischen Unternehmen helfen.
Die Agentur vermittelt zuverlässige Aufsichtsräte, schult diese und führt im Auftrag des Aufsichtsratsvorsitzenden auch Überprüfungen der Kontrolltätigkeit durch. Wobei die Agentur eigentlich Axel Smend ist. Der 58-Jährige betreibt die Firma allein mit einer Halbtags-Bürokraft. Einen größeren Apparat will sich der Geschäftsführer vorerst nicht leisten.
Fast 250 Namen stehen in der Datenbank des gelernten Juristen. Viele sind Bekanntschaften aus seiner langjährigen Laufbahn. Andere sind auf Empfehlungen hinzugekommen. „Es melden sich aber auch viele von sich aus und bieten ihre Erfahrungen an“, erzählt Smend. So ist er bis auf einen kleinen Schönheitsfehler schon recht zufrieden mit seiner Namenssammlung. Der kleine Makel: Nur zehn Prozent von Smends „Aufsehern“ sind weiblich. „Das ist eigentlich zu wenig. Ich würde gern mehr Frauen vermitteln. Wir haben bisher sehr gute Erfahrungen mit weiblichen Aufsichtsräten.“ Auch Managern aus der zweiten Führungsebene traut er in Einzelfällen gute Aufsichtsarbeit zu.
Aber was macht einen guten Aufsichtsrat aus? Smend achtet zunächst auf Unabhängigkeit. Es dürfe keine Konfliktsituationen geben, betont er. Und fachliche Kompetenz und Zivilcourage sollten natürlich auch nicht fehlen. Smend wünscht sich darüber hinaus Strategen Querdenker und „Leute, die auch mal Nein sagen können“. Zudem müsse ein Aufsichtsrat bereit sein, zuarbeiten. „Das tun viele nicht.“
Kein Wunder, einige Top-Manager schienen früher Aufsichtsratsmandate geradezu zu sammeln. Neben den Verpflichtungen als Chef im eigenen Unternehmen ging die Zahl der Sitze in Kontrollgremien ins Zweistellige. Da sieht dann auch Smend keine Chance für die Akteure, jeder einzelnen Aufgabe gerecht zu werden. Einem Berufs-Aufsichtsrat mit keinen weiteren Verpflichtungen traut er maximal acht Kontrollposten zu. Wer neben seinem Job Aufsichtsrat sein will, schafft höchstens vier Mandate, schätzt Smend – aber nur, wenn keine Krisenfälle darunter sind.
Doch das Verständnis für die Bedeutung der Unternehmenswächter bessere sich. „Vielen wird langsam bewusst, dass sie im schlimmsten Fall sogar haften.“ Auch hofft Smend auf den Corporate Governance codex, in dem seit vergangenem Jahr unter anderem für börsennotierte Aktiengesellschaften die Empfehlung ausgesprochen wird, die Arbeit des Aufsichtsrates zu überprüfen. Auch eine solche Aufgabe hat Smend schon übernommen. Für den Aufsichtsrat einer Berliner Aktiengesellschaft hat er ermittelt, wie aktiv und kompetent sich die einzelnen Mitglieder des Gremiums eingebracht haben. Zudem prüft er ihre Unabhängigkeit.
Schließlich sollten Unternehmer nicht unterschätzen, welche Vorteile ihnen durch aktive Aufsichtsräte zukommen können.
Smend achtet bei seinen Vermittlungen darauf, dass die neuen Kontrolleure etwas einbringen können. Gerade für junge Unternehmen kann es ein großer Segen sein, wenn aus dem Kontrollgremium Kontakte angebahnt werden. Bei großen Unternehmen mit vielen Aufsichtsräten sorgt Smend dafür, dass der Mix stimmt.
Vielen Aufsichtsräten gehe es bei Neugründungen nicht in erster Linie um die Vergütung, betont Smend. „Die Motivation ist oft Idealismus.“ Festgeschrieben sind die Bezüge für Aufsichtsräte nirgendwo. Während diese Frage bei Neugründungen schwierig zu behandeln ist, haben sich für einfache Aufsichtsräte bei großen Mittelständlern 5000 bis 25 000 Euro im Jahr eingebürgert. Der Aufsichtsratschef wird oft deutlich höher honoriert. „Das Thema muss aber im Hinblick auf die Ausweitung der Verantwortung von Aufsichtsräten neu überdacht werden. Man sollte den Aufsichtsrat auch am Erfolg beteiligen“, sagt Smend. Vielleicht würde das ja auch den Ja-Sagern mal ein Nein abringen.